[Rezension] Soth- Kleinstadt-Kultisten, die versuchen, einen dunklen Gott zu beschwören (Rollenspiel)

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Rollenspiele, in denen fiese Kultisten diverse blutrünstige Dämonen auf die Menschheit loslassen wollen, gibt es einige. In denen sind die Kultisten dann in der Regel auch die Gegner, die es zu bezwingen gilt. »Soth«, das dank einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne in deutscher Version vor kurzem bei PRO-INDIE erschienen ist, dreht das Ganze um und lässt die Spielenden in diesem würfellosen Rollenspiel in die Haut von Kultisten schlüpfen.

INHALT
Stellt euch vor, ihr habt mal richtig Lust auf gesellschaftlich eher kritisch gesehene Dinge wie Ritualmorde und Blutopfer. Schließlich muss das sein, ihr wollt ja zusammen mit anderen Gleichgesinnten eine dunkle Gottheit beschwören, die eine ganz neue Weltordnung verspricht, in der ihr einen Platz in der ersten Reihe haben werdet. Zumindest hofft ihr das. Aber wie das der Familie erklären? Freunden und Bekannten? Tja, am besten wohl gar nicht. Also bleibt euch nichts anderes übrig als zu versuchen, tagsüber ein unbekümmertes, unscheinbares, quasi völlig normales Leben zu leben, während ihr des Nachts, verborgen unter Kapuzenmänteln und im Schein flackernder Kerzen, ganz finstere Dinge tut. Doch ihr müsst stets auf der Hut sein, denn schon die kleinste Unachtsamkeit kann das Misstrauen selbst eurer Liebsten wecken…

Das alles möchtet ihr zumindest in eurer Fantasie mal ausleben? Dann willkommen bei Soth!

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ja, bei Soth geht es wirklich um diese Sachen. Und Soth macht auch kein Geheimnis daraus; es bedient sich sämtlicher Elemente des Horror-Genres. Es versteht sich aber gleichzeitig auch als satirisches Rollenspiel, das, je weiter die Spielrunde voranschreitet, von grotesken, teils völlig überzeichneten Situationen à la »Fiasko« lebt. Dabei verzichtet Soth gänzlich auf Würfel und lebt allein von der Kommunikation zwischen Spielenden und Spielleitung. Ganz sensible Gemüter sollten aber dennoch lieber einen großen Bogen darum machen. Auch im Regelwerk finden sich Disclaimer dazu und es werden Hilfen angeboten, wie in der Gruppe mit expliziten Themen umgegangen werden kann.

Soth ist auf bis zu sieben Spielende ausgelegt, die sich als erstes darüber Gedanken machen, wo ihr Szenario überhaupt angesiedelt sein soll. Ähnlich wie beim Fantasy-Rollenspiel »Beyond the Wall« wird die Örtlichkeit, in der die Charaktere leben und ggf. arbeiten, mit ihren besonderen Merkmalen gemeinsam ersonnen und auf einem Blatt Papier grob skizziert. Der Tempel des Soth steht, bei aller Freiheit, als Lokalität aber immer fest. Nur als was der Tempel getarnt ist, obliegt der Fantasie der Spielenden. Vom Kiosk bis zum Krankenhaus kann das also alles sein.

Im Gegensatz zur englischsprachigen Originalversion, die eher von einem fiktiven Ort irgendwo in den USA ausgeht, hat die Redaktion von PRO-INDIE die deutschsprachige Version etwas weltoffener gestaltet. Wer möchte, kann das Szenario also auch irgendwo in Deutschland ansiedeln. Ziel des Spiels ist es natürlich, gemeinsam die fiese Gottheit Soth erfolgreich zu beschwören und dabei möglichst unentdeckt zu bleiben. Hierzu müssen insgesamt vier Rituale durchgeführt werden, die in ihrer Durchführung jeweils immer herausfordernder werden und immer weitreichendere Konsequenzen für die Kultisten nach sich ziehen, denn wie im echten Leben auch stellt z.B. die Polizei Ermittlungen an. Jedes Ritual benötigt dabei stets eine unterschiedliche Zahl von Menschenopfern. Das Spiel beginnt kurz nach der Durchführung des ersten Rituals, wobei der Einstieg nach Belieben variiert werden kann.

Die Spielenden nehmen dabei verschiedene Rollen ein, die sie gemeinsam in der Gruppe vergeben können: Eine Person wird zur Kultleitung ernannt. Ihr steht das Privileg zu, diejenigen Kultisten zu bestimmen, die für die Menschenopfer sorgen müssen. Zudem darf sie jeden Tag einem Kultmitglied einen Befehl erteilen, der auch ausgeführt werden muss.

Eine andere Person wird zur „Hüterin des Buches Soth“. In diesem stehen nicht nur die Rituale beschrieben, mit denen Soth beschworen werden kann (allerdings fehlen dort zwei Seiten, was ein bisschen Interpretationsspielraum lässt), sondern dort ist auch ein Zauber vermerkt, der eine übernatürliche Kreatur herbeiruft, die der Hüterin zu Diensten ist. Der Rest der spielenden Personen sind „normale“ Kultanhänger.

Jeder Charakter besitzt außerdem einen speziellen Ruf, der meist vom gewählten Beruf abgeleitet wird. Ärzte, Anwälte oder Bänker besitzen beispielsweise einen exzellenten Ruf, was bedeutet, dass sie sich eher in höhergestellten Kreisen bewegen und über einen gewissen Einfluss im Ort verfügen. Putzkräfte oder Hilfsarbeiter besitzen hingegen einen sozial eher zwielichtigen Ruf. Welchen Ruf die Charaktere besitzen können die Spielenden selbst bestimmten, es gilt dabei aber die Regel: Je höher der Ruf, desto einfacher das Spiel, da es den Charakteren aufgrund ihres Einflusses und ihrer finanziellen Spielräume eher gelingt, Verdachtsmomente von sich abzuweisen und sie sich somit ungestörter auf ihr eigentliches Ziel konzentrieren können. Sozial niedriger gestellte Charaktere fallen im Umkehrschluss eher auf bzw. ziehen Verdachtsmomente eher auf sich. Nun ja…

Die Spielenden dürfen zudem sogenannte Statisten ins Spiel bringen. Damit sind NPCs gemeint, zu denen die Charaktere private oder berufliche Kontakte pflegen. Ist ein Charakter verheiratet? Hat er Kinder? Ist er selbstständig und unterhält Angestellte? Besitzt er Feinde oder neidische Kollegen? Gibt es gar gemeinsame Bekannte, Kollegen oder Freunde, die er mit anderen Charakteren (bzw. Mit-Kultisten) teilt? Dieses Beziehungsnetz wird von der Spielleitung – hier „Wache“ genannt – verwaltet. Jeder Statist kann sich nämlich zu einem potentiellen Problem für die Kultisten entwickeln, je nachdem, wie eng das Beziehungsgeflecht und der Austausch untereinander ist. Die Wache stellt also sozusagen den Gegenpol zu den Kultisten dar. Zudem darf sie weitere Statisten etablieren, sofern sie zu den Aktionen der Charaktere und den darauffolgenden Konsequenzen passen.

Das Ziel der Wache ist es nicht explizit, die Charaktere an der Durchführung der Rituale zu hindern. Sie ist eher die harte Instanz, die (unvermeidliche) Fehler der Spielenden bzw. ihrer Charaktere ausnutzt und ihnen die daraus folgenden Konsequenzen unter die Nase reibt. Ihr Hauptmittel dafür sind Verdachtspunkte. Diese sammelt die Wache unter anderem Anhand der Aktion der Spielenden am Spieltisch. Die Spielenden geben sich auf Metaebene gegenseitig Tipps oder beratschlagen sich, wie sie als nächstes handeln wollen, obwohl ihre jeweiligen Charaktere sich gar nicht im selben Raum befinden? (Ha, welche Spielleitung kennt genau diese Situation nicht??) Für jeden Tipp oder Hinweis, der hierbei genannt wird, darf sich die Wache einen Verdachtspunkt notieren. Diese Punkte werden investiert, um einen der Statisten in einen Ermittler zu verwandeln oder einen neuen Ermittler zu etablieren und Verdachtsmomenten nachzugehen. Verdachtsmomente ergeben sich auch daraus, wie gut – oder eben weniger gut – die Kultisten ihre Machenschaften im Alltag oder unter speziellen Bedingungen vertuschen können. Vergisst ein Kultist beispielsweise seinem Beruf nachzugehen, weil er sich in der Zeit um die Entsorgung einer Leiche kümmern musste, bedeutet das nicht nur einen Verdachtspunkt für die Wache, sondern auch, dass direkt damit verbundene Statisten (Arbeitskollegen, Vorgesetzter, Partner, etc.) beginnen, misstrauisch zu werden. Sollte besagter Kultist auch noch mit blutverschmierten Klamotten nach Hause kommen – weil die spielende Person dahinter vergessen hat, die Klamotten ihres Charakters zu entsorgen –, erhöht das die Zahl der Punkte deutlich.  Die Wache kann nun ihrerseits die gewonnen Verdachtspunkte investieren oder aufsparen, um in einer späteren Runde eine höhere Anzahl zu investieren. Je höher die Zahl der investierten Punkte, desto schwerwiegender wird auch das Ermittlungsergebnis gegen die Kultisten. Der Wache ist es aber auch möglich, Punkte in mehrere Ermittlungen zu investieren, die unterschiedliche Ergebnisse liefern. Der Ruf der Charaktere beeinflusst das Ergebnis zudem zu ihren (exzellent) oder gegen ihre Gunsten (zwielichtig).

Zu allem Überfluss besitzt jedes Kultmitglied auch noch ein zwanghaftes Verhalten, dem jeden Tag mindestens ein Mal nachgegeben werden muss. Diese können zufällig ausgelost oder bewusst gewählt werden und reichen von dem Drang, für den Kult weitere Mitglieder anzuwerben, bis hin zum Sadismus, bei dem man sich offen an den Schmerzen der Angehörigen der Ritualopfer entzückt. Das bedeutet also eine zusätzliche Herausforderung für die Kultisten, nicht sofort auf der Verdächtigenliste zu landen.

In dieselbe Kerbe schlägt „Die Maske der Vernunft“. Sie spiegelt wider, wie sich die Kultisten außerhalb des Kultes über eben diesen äußern. Dabei spielt der sogenannte Erleuchtungswert eine entscheidende Rolle, von dem die Kultleitung und die Hüterin des Buches Soth zu Spielbeginn bereits jeweils einen besitzen (dafür können sie auch mehr als normale Kultisten). Je höher dieser Wert, desto eifriger dienen die Charaktere dem Kult – aber um so höher ist auch die Gefahr, Außenstehenden etwas Konkretes darüber zu erzählen. Sprechen die Charaktere mit einem Wert ab 1 zu lange oder zu intim mit Statisten, rutscht ihnen eine Bemerkung heraus. Anhand einer Tabelle kann die Wache ablesen, wie konkret diese Bemerkung ist. Die Höhe des aktuellen Erleuchtungswertes entspricht dabei der „Schwere“ des Inhalts. Vergisst die spielende Person jedoch, diesen Regelpassus selbstständig anzuwenden, notiert sich die Wache heimlich einen Verdachtspunkt. Fies! Erleuchtungspunkte erlangen die Kultisten z.B. dadurch, wenn sie Ritualmorde durchführen, ihren täglichen Verpflichtungen nicht nachkommen oder sich als neue Kultleitung etablieren.

Apropos Kultleitung: Zwar ist Soth als kooperatives Rollenspiel gedacht, jedoch dürfen sich die Kultisten durchaus auch gegenseitig an die Gurgel gehen, um wie erwähnt beispielsweise selbst die Leitung zu übernehmen. Dies kann über eine offizielle Abstimmung geschehen, oder über die Anwendung von Gewalt. Jedes Kultmitglied verfügt über drei Lebenspunkte (die Leitung als einzige Ausnahme vier), wobei deren Verlust tatsächliche Konsequenzen mit sich bringen. Ein Punkt weniger bedeutet eine betäubende Wunde (z.B. ein ordentlicher Faustschlag), während der Verlust von zwei Punkten bereits Bettruhe bedeuten. Drei Punkte sind mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt verbunden und vier Punkte bedeuten das Ende eines Kultisten mit Ausnahme der Leitung. Ermittler können immer nur einen Schaden pro Zug austeilen. Ein meterhoher Sturz aus einem Fenster kann hingegen gleich mehrere Punkte Abzug bedeuten. Hier ergibt sich der Schaden aus der jeweiligen Situation.

MEDIADATEN

…Autoren: Steve Hickey
…Verlag: Steve Hickey / PRO-INDIE VERLAG
… Format: Gebunden, Hardcover, farbig, A5
…Seiten: 168
…Erschienen: 2023
…ISBN: 978-3-9820652-8-1
…Preis: 29,95 EUR

MEINE MEINUNG
Wer Erzählrollenspiele ohne jeglichen Würfeleinsatz mag, wird auch an Soth nichts auszusetzen haben – abgesehen von der expliziten Thematik vielleicht. Aber darüber sollte man sich im Vorfeld bereits im Klaren sein. Genauso über den Anspruch, den das Spiel an die Spielleitung bzw. Wache stellt, denn jeder Dialog, jede Handlung muss von ihr analysiert, bewertet und mit vorherigen Situationen abgeglichen werden, um entweder Ungereimtheiten in der Rhetorik der Spielenden ausnutzen oder sie mit neuen, aber passenden Umständen konfrontieren zu können. Einen roten Faden gibt es dabei nicht, ausgehend von der Ausgangssituation entwickelt sich das „Abenteuer“ völlig selbstständig weiter und lebt ausschließlich von der Interaktion der gesamten Gruppe. Der Spaß steht und fällt hier aber mehr als bei klassischen Würfelrollenspielen mit der Aufmerksamkeit der Spielleitung.

Wenn die Maschinerie aber erst einmal richtig läuft, gleicht kaum ein Spieldurchlauf dem anderen und es entwickeln sich, gerade zum Ende hin, die abstrusesten Gegebenheiten. Aber dazu bedarf es schon eines gewissen Könnens.

MEINE WERTUNG
4,25 von 5 Dunklen Göttern

von: Chistophorus

L I N K S

3 Kommentare zu „[Rezension] Soth- Kleinstadt-Kultisten, die versuchen, einen dunklen Gott zu beschwören (Rollenspiel)“

  1. Es ist wohl eher selten, dass man die spezielle Gruppe zusammenkriegt, in der solche Spiele und Thematiken dann gut funktionieren. Daher frage ich mich hier – wie schon bei diversen Indie-Nischenspielen zuvor – halt auch wieder: wer spielt so etwas?

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