[Rezension] The Troubleshooters: Regelwerk (Rollenspiel)

© Green Gorilla

Comics französischsprachiger Künstler genießen seit den 30er Jahren europaweit ein hohes Ansehen. Ob Tim und Struppi, Asterix, Lucky Luke oder Spirou und Fantasio – bis heute erfreuen sich Kinder wie Erwachsene gleichermaßen an den Abenteuern ihrer gezeichneten Helden. Da liegt es doch auf der Hand, auch ein Rollenspiel zu entwickeln, das sich dieser einzigartigen Stilelemente bedient? Gesagt, getan, und so betrat 2022 The Troubleshooters von Krister Sunderlin die Bühne und sorgt seitdem für reichlich Spaß am Spieltisch. Green Gorilla hat nun, nach erfolgreich abgeschlossener Crowdfunding-Kampagne, eine deutsche Übersetzung auf den Markt gebracht.

INHALT
The Troubleshooters spielt in einer alternativen, dezent umgemodelten Welt der 1960er Jahre und ist angelehnt an klassische Agenten- und Spionageabenteuer vor der Kulisse des Kalten Krieges: Der Eiserne Vorhang teilt Europa strikt in „Ost“ und „West“ , die Sowjetunion und die USA rüsten um die Wette und beide Seiten versuchen, das politische Gefüge des jeweils anderen zu destabilisieren. Und während die beiden Großmächte sich munter gegenseitig beharken, scheinen sie weitestgehend blind zu sein vor der eigentlichen Gefahr, die verborgen im Hintergrund lauert: „Der Oktopus“. Diese mächtige Schattenorganisation, die schon seit dem 18. Jahrhundert existiert und ihre Tentakel längst überall hin ausgestreckt hat, setzt nämlich alles daran, das Machtgefüge zu ihren Gunsten zu manipulieren und die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Und da kommen die Charaktere ins Spiel: Wie der Name des Spiels es bereits erahnen lässt, schlüpfen die Spielenden in die Rollen von spezialisierten Personen, die sich zusammengetan haben, um den Frieden zu wahren und die bösen Pläne von Oktopus zu durchkreuzen. Um auch schnell in die Action einsteigen zu können, wurde die Charaktererstellung auf ein Minimum reduziert. So stehen insgesamt 15 vorgefertigte Charakterkonzepte bzw. -schablonen wie der Fassadenkletterer, die Investigiativjournalistin, der abenteuerlustige Gelehrte oder die technisch hochbegabte Schülerin zur Auswahl. Jede dieser Schablonen besitzt unterschiedliche Fertigkeiten bzw. Schwerpunktkompetenzen, die besonders hervorstechen: So kennt sich der Fassadenkletterer nicht nur hervorragend mit Sicherheitssystemen aus, er besitzt auch ein überdurchschnittliches Maß an Fingerfertigkeit und ist geübt darin, sich auf leisen Sohlen zu bewegen. Die Investigativ-Journalistin unterhält hingegen zahlreiche Kontakte, die bei Bedarf angezapft werden können und versteht es ausgezeichnet, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.

Wem die Schablonen nicht zusagen oder wem Charaktertypen fehlen, kann ganz einfach ein neues Charakterkonzept entwerfen
Um diese Kompetenzen, die eingefasst sind in die Kategorien Grund-, Sozial-, Untersuchungs-, Action- und Kampfkompetenz, abzubilden, setzt The Troubleshooters auf ein W100- und somit auf ein Prozentsystem. Je höher also ein Wert, desto höher auch der Grad der Kompetenz. Der niedrigste Wert liegt dabei bei 15%, der höchste zu Beginn bei 75%. Klassische Attribute wie Stärke, Konstitution oder Charisma finden hier keine Verwendung. Wem aber die vorgegebene Gewichtung nicht gefällt, darf insgesamt zwei Kompetenzwerte um jeweils 10% verringern (dabei aber nicht auf unter 15% fallen), und sie an anderer Stelle um 10% zu erhöhen. Somit ist auch ein Startwert von 85% möglich.

Frei gewählt werden dürfen hingegen zwei besondere Fähigkeiten, über die ein jedes Charakterkonzept zusätzlich verfügt und die es in bestimmten Situationen erlauben, das Ergebnis einer gescheiterten Würfelprobe zu drehen. Und damit kommen wir auch schon zum Regelsystem – und das kann gerade zu Beginn recht verwirrend sein, denn das System unterscheidet zwischen Standardproben und Proben mit Modifikatoren. Standardproben sind ein einfacher Wurf auf eine Kompetenz. Ist das Würfelergebnis kleiner oder gleich dem Kompetenzwert, gilt die Probe als gelungen. Liegt es darüber, ist die Probe gescheitert. Ähnlich läuft es bei Standard-Vergleichsproben ab: Das bessere, sprich höhere, Ergebnis gewinnt.

Bei Proben mit Modifikatoren – die hier „Pips“ genannt werden – wird es schon etwas komplexer. Ein Pip kann entweder ein positiver oder ein negativer Modifikator in einer Range von +5 (sehr positiv) bis -5 (sehr negativ) sein. Dieser Pip wirkt sich ausschließlich auf das Ergebnis des Einerwürfels aus und entscheidet darüber, ob eine theoretisch misslungene Würfelprobe doch noch erfolgreich sein kann (bei positivem Pip) oder der gegenteilige Fall eintritt (bei negativem Pip). Der Pip-Wert, der als Modifikator herangezogen wird, stellt dabei die „Hürde“ für den Einerwürfel dar.

Beispiel: Eine Kompetenzwurf wird aufgrund bestimmter Umstände um -2 Pip erschwert. Das bedeutet nun: Zeigt der Einerwürfel des Prozentwurfs eine 1 oder eine 2 an, gilt die Probe als misslungen – unabhängig davon, ob der Gesamtwurf erfolgreich gewesen wäre. Zeigt der Würfel hingegen eine 3 bis (1)0 an, wird der negative Pip ignoriert und es gilt das „normale“ Ergebnis des Prozentwurfs.

Im Umkehrschluss bedeutet ein positiver Pip von +2, dass eine 1 oder 2 auf dem Einerwürfel immer zum Erfolg führt, auch wenn die Probe vom Prozentwurf her eigentlich misslungen wäre.

Ähnlich wie beim Cthulhu-Rollenspiel, das bekanntlich auch auf ein W100-System setzt, werden Paschwürfen (11, 22, 33, usw.) eine besondere Bedeutung beigemessen, die sich hier in Form von „gutem Karma“ und „schlechtem Karma“ ausdrückt. Wird bei einem Probenwurf ein Pasch gewürfelt und die Probe gelingt, erhält der Charakter gutes Karma. Misslingt er, eben schlechtes. In jedem Fall gibt es aber einen sogenannten Story-Punkt obendrauf. Beide Elemente – Karma und Story-Punkte – dienen auf ihre eigene Art und Weise dazu, Würfel zu beeinflussen. Während Karma im Regelfall einen Modifikator von +2 Pips oder -2 Pips auf den nächsten Probenwurf bedeutet, können mit der Investition von Story-Punkten Würfelergebnisse gedreht (Einer- und Zehnerwürfel tauschen, hier „flippen“ genannt) oder situationsbedingte Fähigkeitseffekte ausgelöst werden.  Story-Punkte werden außerdem über das Ausspielen einer bestimmten negativen Charaktereigenschaft generiert. Diese wird während des Erschaffungsprozesses festgelegt.

Jede Spielsitzung beginnt mit 4 Story-Punkten für jeden Charakter, von denen sich u.a. Ausrüstungskits gekauft werden können. Maximal dürfen 12 Punkte während einer Sitzung angehäuft werden.

The Troubleshooters arbeitet allerdings nicht ausschließlich mit dem W100-System. Bei Schadenswürfen kommen W6 zum Einsatz. Die Menge hängt von der jeweils verwendeten Waffe ab. Jede 4 bis 6 bedeutet einen Treffer bzw. den Verlust von einem Punkt Vitalität pro Würfel, was hier den Lebenspunkten gleichkommt. Eine natürliche 6 explodiert, darf also so lange weitergewürfelt werden, bis sie nicht erneut gewürfelt wird. Trägt das Ziel einen Schutz, darf es einen Absorptionswurf durchführen. Jeder Schutz besitzt einen eigenen Wert und zeigt die Anzahl der Würfel an, die für diesen Wurf verwendet werden dürfen. Jede 4-6 negiert dabei einen Trefferwürfel des Angreifers.

Gestorben wird übrigens selten und sollte nur dann geschehen, wenn es wirklich zur Dramatik der Situation passt. Ansonsten können aber verschiedenste Zustände eintreten, die Probenwürfe um eine bestimmte Menge Pips erschweren oder gänzlich handlungsunfähig machen.

Doch wie und warum haben die Charaktere überhaupt zueinandergefunden? Was treibt sie an? Diese Fragen werden durch die Zuweisung von Plot-Aufhängern gelöst, kleinen Story Arcs, von denen sich alle Spielenden die passenden für ihre Charaktere heraussuchen dürfen. Je nach Kampagne werden ein oder zwei dieser Handlungsbögen aufgegriffen und als Auslöser für den Abenteuerbeginn verwendet. Als Tüpfelchen auf dem i dient zusätzlich ein gemeinsames, übergreifendes Leitmotiv, über das in der Gruppe entschieden wird. Sind die Charaktere alle Agenten eines Geheimdienstes? Oder Privatermittler, die auf eigene Faust agieren? Oder sind sie gar professionelle Diebe, die ausschließlich von den Bösen stehlen? Moderne Robin Hoods zu spielen, ist also auch möglich.

Da The Troubleshooters in einem alternativen Zeitstrahl unserer 1960er Jahre spielt, darf eine Beschreibung wichtiger Städte natürlich nicht fehlen. Dort werden nicht nur nackte Fakten wie Bevölkerungsdichte, Flächengröße, klimatische Gegebenheiten oder Sehenswürdigkeiten präsentiert, sondern auch Tipps gegeben, wie und unter welchen Umständen die Charaktere dort einreisen, in welchen Hotels sie absteigen, welchen Aktivitäten sie nachgehen und wie sie für ein Abenteuer dort eingebunden werden können. Am meisten wird man über Frankreich und dessen Hauptstadt Paris lesen können, einfach, weil kein anderes europäisches Land den neuen „Way of Life“, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg eintrat, so deutlich verkörpert und es daher offiziell die „Operationsbasis“ der Troubleshooter darstellt. Aber natürlich kann auch eine der anderen Städte als diese gewählt werden.

MEDIADATEN

…Autor: Krister Sunderlin
…Verlag: Green Gorilla
… Format: PDF / DIN A4 Hardcover
…Seiten: 258
…Erschienen: 2023
…ISBN: 978-3-949214-16-5 (PDF) / 978-3-949214-15-8 (Hardcover)
…Preis: 24,95 EUR (PDF) / 49,95 EUR (Hardcover)

MEINE MEINUNG
Die ganzen Regelmechanismen mit Story-Punkten, guten und bösem Karma und den Pips benötigen zwar einen zweiten Blick, stellen aber kein Komplexitätsmonster dar. Wenn man es ein, zwei Mal angewendet hat, geht es schon in Fleisch und Blut über. Generell spielt sich das System überraschend flott. Wer sich für eine der vorgefertigten Charakterschablonen entscheidet, dürfte in weniger als 15 Minuten spielbereit sein. Das Erschaffen eigener Charaktere bzw. Charaktertypen nimmt natürlich mehr Zeit in Anspruch.

Den meisten Applaus darf sich das Spiel aber für seine extrem charmante Aufmachung abholen. Meine Güte, sieht das toll aus! Die eingefügten Comic-Bilder nach frankobelgischer Zeichenkunst sind wunderschön, und viele Spielmechanismen sind von kleinen Strips und Infokästchen eingefasst, die eben jene Mechanismen anschaulich erklären. Das mag überbordend klingen, sieht aber wohlgeordnet und nie störend aus. Die verwendete Sprache ist dementsprechend locker-flockig und hängt sich nicht an umständlichen Worthülsen auf. Wer frankobelgische Comics und Regelsysteme, die schnell erlernt sind, mag, sollte also einen Blick riskieren.

Wer es noch passender mag, wird im Online Shop von Green Gorilla fündig. Neben Spielleiterschirm und Würfelsets finden sich auch Stadtkarten zu allen im Regelwerk vorgestellten Städten, Ausrüstungskarten und wirklich toll gestaltete Charakterdossiers, die in Form eines Reisepasses daherkommen und natürlich dazu gedacht sind, die Charakterprogression festzuhalten.

Man merkt, mit wie viel Liebe zum Detail Autor Krister Sunderlin, aber auch die Redaktion und Layouter von Green Gorilla an das Spiel herangegangen sind.

MEINE WERTUNG
4,5 von 5 Oktopoden

von: Chrisdtophorus

L I N K S

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