[Rezension] Scherbenfresser (Erzählspiel, Horror)

© Scherbenfresser

Die Charaktere öffnen nahezu gleichzeitig ihre Augen. Ein stechender Schmerz schießt durch ihre Schädel, als das flackernde Licht der schiefen Deckenlampe die Netzhaut berührt. Ein kurzer Blick aus zusammengekniffenen Augen verrät, dass sie alle sich in einem von Schutt überhäuften Raum befinden, aus dessen eingerissenen Wänden unablässig das Wasser hineinläuft. Umgekippte und zersplitterte Regale. Zertrümmerte Stühle. Abgesplitterter Putz. Die Charaktere werden ihrer gewahr und blicken sich in die Augen. Was zur Hölle ist passiert? Und wer sind die alle? Ah, ja. Der Koch mit diesem intensiven französischen Akzent, der so verflucht gekünstelt klingt. Und dort, diese Lady. Anwältin ist sie. Und so überheblich. Aber guckt sie euch jetzt an mit diesen panisch aufgerissenen Augen. Und die da? Stimmt, das ist die nervige Polizistin, die allen diese bohrenden Fragen gestellt hat. Aber was machen sie alle hier, gemeinsam in diesem Raum? Und weshalb stehen sie fast knietief im Wasser? Es schwirren nur Fragmente in den Köpfen herum, Fetzen vager Erinnerungen. Ein Haus…dieses Haus. Irgendetwas ist mit diesem Haus. Im Keller. Ja, es war im Keller. Dieses Leuchten. Und es war…böse.

INHALT
So oder so ähnlich könnte der Beginn eines Szenarios im regelarmen Horror-Erzählspiel Scherbenfresser von Gianni Ventrella aussehen, das die Geschichte von verschiedenen Charakteren – hier „Überlebende“ genannt – erzählt, die aufgrund eines schrecklichen Ereignisses ihr Gedächtnis verloren haben und verzweifelt versuchen, den Scherbenhaufen an zersprungenen Erinnerungen zu einem Gesamtbild zu formen, um sich an sich selbst, das Geschehene und an die Verbindungen untereinander zu erinnern, bevor es zur unausweichlichen Konfrontation mit jenem Albtraum kommt, dem sie ihren Umstand zu verdanken haben: dem namensgebenden „Scherbenfresser“.

Aber vielmehr erzählt nicht das Spiel diese Geschichte – die Spier*innen tun es. Denn mehr als ein knapper Satz, der die Handlung der Geschichte grob beschreibt, existiert zu Beginn nicht. Auch die Charakterbögen bleiben weitgehend leer. Es obliegt den Spieler*innen das Szenario, in dem sich die Charaktere bewegen, sowie diese selbst im Verlauf des Spiels zu entwickeln und mit Leben zu füllen. Die Spielleitung – hier mit „Schicksal“ betitelt – hat also nicht die Aufgabe, eine vorgefertigte Welt zu präsentieren, sondern ist lediglich Schiedsrichter*in wie Moderator*in und stellt hier und da ein Hindernis in den Weg, das es zu überwinden gilt. Ansonsten liegt die Erzählgewalt bei den Spieler*innen und baut auf deren Spontanität und Ideenreichtum auf.

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[Interview] Im Gespräch mit Gianni Ventrella (Scherbenfresser, Erzählspiel)

In den letzten Tagen blicke ich ein wenig öfters ins Postfach. Dort erreichte mich eine E-Mail von Gianni, in welcher er mir von seinem Erzählspiel „Scherbenfresser“ erzählte. Kurz entschlossen habe ich ihm einige Fragen zu seinem Projekt gestellt. Hier nun das Ergebnis. Viel Spaß.

Hallo Gianni,
danke das Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Stell Dich doch bitte einmal vor.
Hallo André! Ich möchte dir erst einmal für die Möglichkeit danken, Scherbenfresser vorzustellen. Kurz zu mir: Geboren bin ich in Italien und aufgewachsen in Stuttgart. Hauptberuflich bin ich im Bildungswesen tätig. Nebenberuflich treibe ich mich gerne im Spieldesign herum. Spielen tue ich gefühlt schon immer. Vor allem haben es mir Rollen- und Erzählspiele angetan. Ich bin immer noch davon fasziniert, wie sich ein paar Menschen zum Spielen treffen und am Ende des Abends eine noch nie dagewesene Geschichte steht.

Derzeit läuft eine Vorbestellaktion zum „Scherbenfresser“ Erzählspiel. Was steck dahinter?
In den letzten zwei Jahren habe ich intensiv an Scherbenfresser gearbeitet. Anfangs hatte ich mir ein Jahr dafür Zeit genommen. Ich hatte tatsächlich auch nach einem Jahr ein Regelbuch fertig. Dieses habe ich dann einigen Leuten unter die Nase gehalten. Das Feedback war in Ordnung, aber einige Punkte brachten mich dazu, aufzuhorchen. Also bin ich zurück in die Werkstatt und kam nach einem Jahr wieder mit einem Werk heraus, hinter dem ich voll stehen kann. Kurzgefasst kann man sagen: Ich habe die storytreibenden Fragen zurück zu den Spielenden gegeben. Das Spiel soll ihnen viel Gestaltungsfreiheit für die Geschichte und gleichzeitig immer einen roten Faden bieten.

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