Nachdem Karsten Kruschel letztlich den Kurd-Laßwitz-Preis 2016 gewonnen hat, war es an der Zeit mal ein paar Fragen zu stellen. Ich wünsche viel Spaß!
Hallo Karsten,
vielen Dank, daß Du Dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Würdest Du Dich bitte zuerst kurz vorstellen.
Ich stamme aus Havelberg (damals DDR, heute Sachsen-Anhalt), bin in Magdeburg aufgewachsen und habe meine erste SF-Story 1979 veröffentlicht, später über die SF-Literatur in der DDR promoviert und bin nach einer Reihe beruflicher Stationen seit 2010 freier Autor, ziemlich dicht dran an Leipzig. Mehr steht bei Wikipedia, woher die das auch immer alles wissen.
Deine Story „Was geschieht dem Licht am Ende des Tunnels?“ aus NOVA 23 hat vor ein paar Tagen den Kurd-Laßwitz-Preis 2016 gewonnen. Wie fühlst Du Dich?
Ich bin sehr überrascht, weil ich überhaupt nicht damit gerechnet hatte, und ich freue mich natürlich sehr. Es war das siebente Mal, daß ich für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert gewesen bin.
In einigen der anderen Jahre hatte ich wirklich gehofft – und dann sechsmal zweite, dritte bis siebente Plätze belegt, über die ich mich auch gefreut hab. Dieses Jahr hatte ich auf gar nichts gehofft, ich kannte auch die anderen Nominierungen nicht.
Worum geht es in der Geschichte?
Um Bergarbeiter, die in der nahen Zukunft all den Müll, den wir seit Jahrzehnten wegwerfen, nach Brauchbarem durchwühlen, weil viele Metalle und Kunststoffe unglaublich selten und teuer geworden sind. Und weil da auch viele Schallplatten, Musikkassetten und CDs dabei sind – und Musik einen eigenen Geist hat –, haben sich aus Textzeilen, Akkorden und Notenfolgen … äh … Wesen (?) entwickelt, die in der Dunkelheit unter den Müllkippen leben. Und es gibt ein bißchen Kapitalismus-Kritik, eine kleine Prise Horror und eine Rundreise durch meinen Musikgeschmack.
Wie kam es zur Veröffentlichung im NOVA-Magazin?
Michael K. Iwoleit ist schuld, das steht außer Frage. Er fragte bei mir an, ob ich nicht eine Story zu einem NOVA-Themenheft zu SF und Musik beisteuern könnte.
In meinen Büchern kommt Musik ja immer wieder vor. Manche Kapitel in den „Vilm“-Büchern sind direkt von Bands oder Platten inspiriert. Es gibt da beispielsweise ein Black-Sabbath-Kapitel, ein Yes-Kapitel und so weiter. Im „Galdäa“-Roman ist einer der Protagonisten Musiker, und es schwirren immer wieder Pixies-Songs durch das Buch.
Tatsächlich geisterte bei Michaels Anfrage eine passende Idee bereits in meinem Kopf herum, und in NOVA veröffentliche ich sehr gern … und dann hab ich einen zwei, drei Tage dauernden Schreib-Flash gehabt.
Was meinst Du, warum Deine Story gewonnen hat?
Wenn ich wüßte, warum bestimmte Erzählungen oder Romane den KLP gewinnen, würde ich nur noch solche schreiben!
Ich weiß es aber nicht.
Deswegen kann ich nur Vermutungen anstellen. Der Bergbau-Hintergrund mag eine Rolle gespielt haben – mein Großvater ist Bergmann gewesen, und ich habe all diese Fachbegriffe und Legenden recherchiert, diese untergehende Sprache, um ein gewisses Gefühl zu reproduzieren, das mit dem Dasein unter Tage verbunden ist.
Es mag auch eine Rolle gespielt haben, daß das Ende der Geschichte offen bleibt. Die Leser von Kurzgeschichten mögen das aus sehr guten Gründen. Ich übrigens auch.
Einer der Leser mochte es, auf Musik hingewiesen zu werden, die er nicht kannte …
Was sagst Du zur Konkurrenz?
In diesem Jahr kannte ich sie nicht.
Anfang des Monats ist „Das Universum nach Landau“ beim Wurdack Verlag erschienen. Worum geht es in diesem Buch?
Um den Menschen und seine Fähigkeit, alles zu überstehen. Das findet alles in dem aus den „Vilm“-Büchern und aus „Galdäa“ bekannten Universum statt, durchquert es aber eher vertikal.
Anfangs geht die Welt in einer sehr nahen Zukunft unter. Dann beweist der Mensch dem Universum, daß er ein echt zähes Vieh ist … und manche Menschen sind zäher als andere. Die Dokumente und Novellen, aus denen der Roman zusammengesetzt ist, haben alle miteinander zu tun, aber das Gesamtbild muß der Leser selbst zusammensetzen.
Man muß die anderen Romane nicht kennen, um das zu verstehen; aber Leser, die Vilm und Galdäa kennen, werden den einen oder anderen Aha-Effekt erleben, wenn das Flottenkommando, die Goldenen oder Vilmer auftauchen.
Kommen wir mal im allgemeinen zur Science Fiction in Deutschland. Jahrelang war zu hören, das dieses Genre mehr oder minder am Ende ist. Wer genauer hinschaut erkennt aber das sich vieles tut. Wie siehst Du das?
SF ist, ganz im Gegenteil, eine absolute Erfolgsgeschichte und alles andere als am Ende.
Viele große Kino-Erfolge sind schließlich SF-Streifen, ob es nun „Avatar“, „Gravity“ und „Hunger Games“ sind oder „12 Monkeys“. Ganz zu schweigen von „Star Wars“ und „Transformers“, wobei letzteres ja eigentlich verfilmtes Kinderspielzeug ist.
Im Buchbereich hat es in den letzten Jahren SF-Bestseller gehagelt: „Der Schwarm“, „Limit“, „Das Jesus-Video“, Crichton, Scalzi, diese Zeitreise-Geschichten von Kerstin Gier. Ganz zu schweigen von all den unter dem Label „Young Adult“ segelnden SF-Schinken à la „Die Tribute von Panem“ und seinen zahllosen Nachahmern, die sich Dystopien nennen, aber eigentlich Teenager-Romanzen in einem futuristischen SF-Setting sind. Also nicht notwendigerweise schlechte SF, aber eindeutig SF. Es gibt mittlerweile eine riesige Leserschaft für SF-Stoffe, die aber davon nichts weiß und jedes Buch ignoriert, auf dem „Science Fiction“ steht, weil das ja nerdig ist.
Stattdessen kaufen sie die SF-Bücher von beispielsweise Ursula Poznanski oder Kerstin Gier. Die auch nicht mit Science Fiction überschrieben sind.
Wohin entwickelt sich Science Fiction Deiner Meinung nach und wie stehst Du zu dieser Entwicklung?
Ich halte nicht viel davon, ein so chamäleonisches Genre losgelöst vom Strom der Literatur zu betrachten; das wird ja so konsequent auch nur in Deutschland getan. Bisher hat die Science Fiction noch jede literarische Entwicklung mitgemacht, aufgesaugt oder nachvollzogen. Es gibt SF-Bücher, die im Grunde auch Krimis sind, oder Entwicklungsromane, oder Robinsonaden, oder Utopien, oder Kriegsromane, oder Liebesromane … und so weiter.
Es wird immer Science Fiction geben. Es ist nämlich einfach zu verlockend, seiner eigenen Gegenwart ein Spiegel vorzuhalten und sich dabei und dafür komplette, eigene Welten auszudenken – in denen man dann die Probleme und Fragen seiner eigenen Welt spielerisch gestaltet.
Nicht zufällig haben so einige Autoren der sogenannten „Höhenkammliteratur“ (was für ein Wort) auch SF geschrieben: Doris Lessing, Günter Grass, Margaret Atwood, Robert Merle, Anthony Burgess, Franz Fühmann, Murakami Haruki, Fritz Rudolf Fries, um nur einige zu nennen.
Kann „deutsche SF“ den internationalen Vergleich standhalten oder hinken wir da hinterher?
Das kann ich schlecht fundiert beurteilen, denn diesen Vergleich gibt es nicht.
Seit dem Zusammenfalten der DDR kriegen wir ja kaum noch internationale SF zu Gesicht, nur angloamerikanische zuhauf. Von der umfangreichen polnischen SF-Produktion beispielsweise ist in den letzten 26 Jahren (außer Lem) nur ein Band Erzählungen bei Wurdack erschienen. Beim Rest Osteuropas sieht es noch düsterer aus, na gut, ein bißchen Lukianenko und Metro-Romane … das war’s. Die SF von Südamerika wird von einem einzigen Band Erzählungen von Angélica Gorodischer im Golkonda-Verlag repräsentiert, und vom Rest der Welt will ich gar nicht anfangen.
Und was die US/UK-Produktion betrifft: Wir kriegen ja nur den oben abgeschöpften Rahm übersetzt, die erfolgreichen Bücher, die vielgelobten. Das verzerrt das Bild gewaltig.
(Nebenbei: „Internationale SF“ existiert übrigens gar nicht. Wenn ich mit Kollegen aus dem englischsprachigen Raum rede oder Kontakt habe, bin ich immer wieder erstaunt, daß die meistens überhaupt keine internationale SF kennen. Nothing, nichts, nada, rien, nitschewo. Wie sollen sie auch, es gibt ja so gut wie keine Übersetzungen ins Englische.)
Aber wenn ich mir den erwähnten „Rahm“ so ansehe, der ins Deutsche übersetzt wird: Da ist immer noch ziemlich viel Gülle dabei. Deswegen glaube ich, daß sich Eschbach, Jeschke, Marrak, Iwoleit, Brandhorst usw. im internationalen Vergleich nicht verstecken müssen. Bei Schätzing bin ich da nicht so sicher.
Wie bist Du zum Schreiben gekommen und wieso ausgerechnet Science Fiction?
Naja, wenn der Vater Schriftsteller ist, steht das Haus natürlich voller Bücher. Ich hab alles gelesen, was nicht bei drei auf dem Baum war, nachdem ich nach ein paar Schultagen die Fibel durch hatte. Dann fing ich selbst zu schreiben an, grauenvolle Gedichte, die auch noch veröffentlicht wurden. In der dritten Klasse stieß ich auf „Atomvulkan Golkonda“ von den Strugatzkis, verschlang ab da dieses Zeug exzessiv und begann mit meinem ersten SF-Roman.
Mein Vater mochte das natürlich gar nicht und wollte, daß ich was Richtiges schreibe. Nun, das war natürlich noch ein weiterer Grund, bei der SF zu bleiben.
Wieso ausgerechnet Science Fiction, bin ich schon tausendmal gefragt worden. Meine Antwort ist immer wieder eine andere, aber es macht mir halt Spaß … neben den vielen anderen Gründen.
Was macht für Dich ein gutes Buch aus?
Daß es mich anders zurückläßt, als ich vor der ersten Seite war. Ich gebe zu, das ist hoch gegriffen, aber so habe ich es erlebt.
Wenn einer meiner Leser mir schreibt, daß er es „Wow!“ fand und nach „Vilm“ fortan immer anders in den Regen schauen wird als bisher, dann könnte ich Freudentänze aufführen (vielleicht tu ich das ja, aber ich verrate es nicht).
Wenn Du so in die Runde blickst, welchen SF-Autor/-Autorin sollte man unbedingt mal lesen und warum?
Als erstes James Tiptree jr. – das ist eine bemerkenswerte Dame, deren Gesamtwerk momentan liebevoll ediert bei Septime in Wien erscheint, viele äußerst kraftvolle, bestürzende und zugleich herzerwärmende Stücke Literatur.
Dann Arkadi und Boris Strugatzki – bei Heyne ist eine sechsbändige Werkausgabe lieferbar, die zwar nicht vollständig, aber hinreichend erschöpfend das Werk der Brüder präsentiert (das ich – siehe oben – seit meinen Kindertagen verschlungen habe).
Und dann noch Cordwainer Smith, Johanna und Günter Braun, Vernor Vinge, Angela und Karlheinz Steinmüller, Connie Willis, Ursula K. LeGuin, Robert Merle, James Graham Ballard, Sergej Snegow, Norman Spinrad.
Was können wir in nächster Zeit von Dir erwarten?
An meiner Schreibtischwand hängt ein Ausdruck mit den 18 Romanprojekten, für die ich ausgearbeitete Exposés auf der Festplatte habe. Fünf sind schon abgestrichen. Da wartet noch eine Menge Arbeit.
Momentan arbeite ich an einem Projekt, das bei mir intern SDVP heißt und wohl unter dem Namen „Shazim. Der verborgene Plan“ erscheinen wird. Wieder im Universum nach Landau, wieder ganz anders.
Dann lauern da neben weiteren Büchern aus diesem Universum auch völlig unabhängige SF-Romane, ein Krimi und ein Parallelwelt-Roman, der etwas Fantasy enthält. Zwischendurch gönne ich mir etwas Spaß und schreibe Kurzgeschichten
Da ich mich ja viel mit Pen and Paper Rollenspielen beschäftige. Sind Dir diese ein Begriff? Welche kennst Du und evt. verfolgst Du bzw. spielst du?
Ich hab eine sehr blasse Ahnung, was das ist, aber das war’s auch schon. Ich hab allerdings früher viel „Final Fantasy“ auf verschiedenen Konsolen gespielt, aber das ist ja wohl eine andere Spielwiese … (Mords-Wortspiel!)
Vielen Dank für dieses Interview. Die letzten Worte gehören Dir.
Leute, kauft mehr NOVA. Das ist ein tolles Magazin für SF-Geschichten.
2 Kommentare zu „[Interview] Im Plausch mit Autor Karsten Kruschel“